Leben und Arbeit der Trümmerfrauen

in Halberstadt

Leben und Arbeit der Trümmerfrauen in Halberstadt (Foto1)
Leben und Arbeit der Trümmerfrauen in Halberstadt (Foto 2)
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Leben und Arbeit der Trümmerfrauen in Halberstadt (Foto 7)

Am 8. April 2005 jährt sich der Tag der Zerstörung Halberstadts zum 60. Mal. Ein Datum, das viele veranlasst, sich an die Nazizeit, ihre Schreckensherrschaft und ihre Opfer zu erinnern, damit so etwas in Zukunft nicht noch einmal geschehen kann. Wir als Frauenverband wollen ein Thema aufgreifen, mit dem wir uns bereits vor 10 Jahren intensiv auseinandergesetzt haben und das in diesem Zusammenhang leider meist vergessen wird: die Rolle Halberstädter Frauen in der Nachkriegszeit während des Wiederaufbaus.

Wieder waren es die Frauen und Mädchen, die mit den Aufräumarbeiten begannen und ihre Kräfte zur Verfügung stellten. Sie waren es, die mit Hammer, Kopftuch, Schürze und wenig zu Essen in Schutt und Asche standen. Sie schleppten, Klopften und stapelten Steine, schoben die Trümmerwagen. Die Männer waren meist Vorarbeiter und kontrollierten die Arbeit der Frauen und Mädchen. Über die Arbeit der Trümmerfrauen wurde bisher wenig berichtet, es wurde ganz einfach vergessen. Ihre Arbeit wurde als etwas Selbstverständliches hingenommen. Aus diesem Grunde hat der Unabhängige Frauenverband Landkreis Halberstadt e.V. (UFV) 1994 einen Aufruf erlassen, in dem er alle noch lebenden Trümmerfrauen bat, sich als Zeitzeuginnen beim UFV zu melden, um über ihre Erlebnisse, Eindrücke und die schweren Anfängen der Nachkriegszeit zu berichten. Der Aufruf erreichte viele Frauen und der Wunsch, endlich einmal über ihr damaliges Leben und die Arbeit berichten zu können, war für sie ein Bedürfnis geworden. Über einen Teil der Trümmerfrauen berichtete der UFV in einem Kalender von 1996 mit dem Titel „Trümmerfrauen in der Geschichte Halberstadts“, über andere Trümmerfrauen in der ebenfalls 1996 vom UFV herausgegebenen Dokumentation „Die gesellschaftliche Rolle der Frauen in Halberstadt von 700 bis 1990“. Insbesondere der Kalender war als Dankeschön gedacht an alle Frauen und Mädchen, die 1945 die Trümmer mit ihren Händen wegräumten.

Um diese wertvollen Berichte der Trümmerfrauen mehr Interessierten zugänglich zu machen und ihre schwere Arbeit zu würdigen, entstand die Idee, einen solchen Internetauftritt zu gestalten, der einige der Berichte aufgreift.

Wir danken den Trümmerfrauen, die uns ihr Einverständnis gegeben haben ihre Erinnerungen auf dieser Seite mit uns zu teilen und das Thema greifbar und lebendig werden zu lassen.
Außerdem danken wir Mirco Grusche, dem Fotostudio Mahlke, Werner Hartmann und Jo. Lux für die freundliche Genehmigung für die Verwendung des Fotomaterials.

Gerda Baumeyer

Frau Baumeyer, würden Sie mir über den 7. und 8. April 1945 Auskunft geben?

Aber selbstverständlich, darüber muss man sogar sprechen. Es ist zu lange her, keiner hat danach gefragt, keiner wollte ja wissen über die Frauen von Halberstadt. Wir haben damals in der Bakenstraße gewohnt. Meine Mutter war Kellnerin beim Roßschlächter „Klaus“. Am 8. April 1945 wollte sie zum Dienst, da kam ein Franzose zu uns. Er war ein freier Gefangener, der bei „Klaus“ arbeitete. Er erzählte meiner Mutter, dass sie die ganze Nacht Radio gehört hätten. Sie soll heute nicht zur Arbeit gehen, es ist ein Großangriff auf Halberstadt geplant. Meine Mutter ging nicht zur Arbeit und wir überlebten den Angriff auf dem Anger. Die Kollegen meiner Mutter waren alle tot.

Breiter Weg Halberstadt

An welchen Orten haben Sie mit enttrümmert?

Als Trümmerfrau bin ich über’s Arbeitsamt bei der Baufirma aus Langenstein, und dann bei Grün und Billfinger eingestellt worden. Trümmerfrau war ich auf dem Breiten Weg, Fliegerhorst, Harmoniekaserne (Pferdeställe). Es war eine schwere Arbeit. Wir mußten die Loren beladen und der ganze Schutt wurde hinter das Rolandkaufhaus geschafft. Viele Tote lagen unter dem Schutt auf dem Breiten Weg. Den Anblick kann man nicht beschreiben. Es ist gut, daß Sie diese Zeit nicht miterlebt haben. Ich habe auch in der Friedenstraße und beim Fahrrad-Herschaft privat Steine geklopft.

Gab es beim Steineklopfen Episoden, an die Sie sich erinnern?

Die schwerste Arbeit war auf dem Fliegerhorst. Es war sehr kalt. Nichts anzuziehen und nichts zum Essen und wir mußten die Betonteile kaputthauen.

Wie lange war ihre Arbeitszeit?

Arbeitszeit war von früh 7 Uhr bis nachmittags 16 Uhr. Oft vor 7 Uhr stand ich beim Fleischer an, wegen etwas Wurstsuppe. Es sahen da mehr Augen hinein als Fettaugen auf der Suppe waren.

Anne Kern

Anne Kern erzählt in ihrem Buch „Weihnachtsbäume im Frühling“
ihre Erlebnisse in der Vor- und Nachkriegszeit in Halberstadt.
An dieser Stelle wollen wir ein Kapitel aus ihrem Buch abdrucken, in dem sie sich auch an die Arbeit der Trümmerfrauen erinnert.

Aller Anfang ist schwer! Leben in Trümmern

Ich glaube, viele Menschen haben die Erinnerung an den schweren Anfang, die Wochen und Monate nach dem Kriegsende verdrängt. Auch mich kostete es große Mühe, alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. Teilweise war es sehr schmerzhaft, aber das Positive, Optimistische drängt nach vielen Jahren doch in den Vordergrund. Kluge Leute haben in Wort und Bild in Archiven festgehalten, wie die geschundenen Städte langsam wieder auf die Beine kamen. Ich möchte wiedergeben, wie ich es in meiner Heimatstadt erlebt und empfunden hatte.

Weihnachtsbäume im Frühling (Buch)
Weihnachtsbäume im Frühling
Geschichten aus der Vor- und Nachkriegszeit in Halberstadt
Redaktion, Gestaltung und Herausgabe:
SCHREIBBÜRO & VERLAG M.GRUSCHE
Druck: Halberstädter Druckhaus GmbH
Halberstadt, im März 2004

Die ehemaligen Straßen sahen nun aus wie Schneisen, die man durch die Stadt geschlagen hatte. Rechts und links große Trümmerberge, unter denen sicher noch Tote lagen. Nur unsere alte ehrwürdige Fachwerk-Unterstadt blieb zum Teil erhalten. Aber ein großer Verlust waren doch die wertvollen mittelalterlichen Gebäude, die ein Raub der Flammen wurden, zum Beispiel die beiden Märkte und das Rathaus. Jeder versuchte ein einigermaßen dichtes Dach über den Kopf zu bekommen mit Blick auf den Herbst und Winter. Dies blieb meistens den Frauen überlassen, denn die Männer waren noch in der Kriegsgefangenschaft, manchmal noch über Jahre hinaus. Nicht daran zu denken, wie viele gefallen waren!

Wer Glück hatte, besaß wenigstens noch einige heile Fensterscheiben, sonst wurde mit Pappe und Brettern zugenagelt. Bis das Gasnetz wieder in Ordnung war, musste auf den eisernen Öfen gekocht werden, nachher im Winter auch die einzige Wärmequelle.
Es war ein komischer Anblick, wenn in Häuserwände Löcher geschlagen waren, und heraus ragte ein mächtig qualmendes Ofenrohr, da die Schornsteine ja meistens kaputt waren. Aber wir hatten einen tollen Großvater, Zimmermann und Tischler. Ende des 19. Jahrhunderts als wandernder Zimmermann in Europa auf der Walz gewesen. Er konnte noch ordentlich zupacken und das Werkzeug war auch gerettet.

Er spielte schon in meiner Kindheit eine wichtige Rolle. Ich besitze noch heute sein ehemaliges Frühstücksbrett aus Porzellan mit Zwiebelmuster. Damals sah sein Frühstück so aus: Keine Hektik, Ruhe und Zeit, einige Scheiben trockenes Brot, ein großes Stück Speck und Mostrich, dazu ein ordentlicher Pott Malzkaffee, vielleicht auch mal eine Pulle Bier.
Sein Wahlspruch: „Wer auf Gott vertraut und Tabak kaut, hat immer dicke Backen!“
Ende des Krieges war kaum an Speck zu denken, und nun war es gänzlich ganz vorbei. Wie sollte man mit 7 Gramm Fett und 15 Gramm Wurst, verteilt über den ganzen Tag, ein opulentes Zimmerfrühstück bestreiten?

Damals kam die Geschichte mit den Vitaminen auf, worauf heute noch rumgedroschen wird. Großvater hatte nie davon gehört und sagte: „Alle sprechen von Fettaminen, dabei gibt es gar kein Fett.“ Ach, tut mir das heute noch so leid.
Zunächst stand bei allen Menschen das Wort „Essen“ im Vordergrund. Wir bekamen wohl Lebensmittelkarten, aber zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Die Karten wurden eingeteilt nach der Arbeit, die man verrichtete. Schwerstarbeiter bekamen logischerweise das Meiste. Wütend werde ich, wenn ich mir die tägliche Lebensmittelration für Mütter ins Gedächtnis rufe: 250 Gramm Brot, 15 Gramm Nährmittel, 15 Gramm Zucker und wie schon gesagt, 7 Gramm Fett und 15 Gramm Fleisch. Wenn sie nun mehrere kleine Kinder hatten und darum nicht arbeiten gehen konnten, in einem Zimmer hausten, Wäsche wuschen mit Ersatzseife und die wenigen Klamotten immer ausflickten, nur hungrige Mäuler vor Augen dann Hut ab. Sie mussten mit der Kinderschar auf abgeernteten Feldern Ähren suchen oder Kartoffeln stoppeln, und versuchen, Brennmaterial zu sammeln. Das gebräuchlichste Transportmittel war sowieso der Kinderwagen.

In einer Garage auf unserem Hof hatte eine Gemüsehändlerin ihr Geschäft „etabliert“. Morgens um 5 Uhr war unsere Nacht zu Ende. Dann standen die ersten Frauen nach Gemüse an, schnell füllte sich der Hof, und die Gemüseschlange stand auf der Straße in Dreierreihe zehn Meter lang. Unsere Fenster gingen zum Hof raus, und das Murmeln und Erzählen der vielen Frauen, wie ein umgekippter Entenstall, ließ niemanden mehr schlafen. Auch Gemüse gab es auf Zuteilung.
Bekam man nichts mehr ab, mussten die Frauen sich den nächsten Tag wieder anstellen. Die Gemüsefrau wurde augenkrank, trug ganz starke Brillengläser, und doch sah sie nichts.

Der Augenarzt sagte: „Ich kann nicht mehr helfen, ihnen fehlt Fett und richtige Ernährung!“ Da fing sie sich Sperlinge, rupfte sie, nahm sie aus und kochte sich kräftige „Hühnerbrühen“. Auf einer Ausfallstraße unserer Stadt stürzte ein Pferd und musste getötet werden. Es lag nicht lange da. Mit Schüsseln und Messer bewaffnet kam eine ganze Meute an. Arme Kreatur. Über Menschen urteilen will ich hier nicht, ich würde meine gute Kinderstube vergessen. Nur berichten, was sie sich angetan haben und wie sie versuchten, aus dem Dilemma rauszukommen. Auch weiß ich, dass Hunger weh tut. Ich ging mit einer Bekannten Ähren suchen, in glühender Mittagshitze. Dann waren nicht so viele Sucher unterwegs. In sechs Kilometer Entfernung ein Feld. Der Bauer ging mit der Sustarbe nochmals über den abgeernteten Acker, und wir durften nach stoppeln. Die Ausbeute wurde zu Hause in einen Leinensack getan und mit einem Knüppel draufgeschlagen, das heißt, ausgedroschen. Meine Schwester nahm das Gemisch in beide Hände und ließ es langsam nach unten rieseln. Die andere Schwester und ich pusteten wie die Wilden, damit sich die Spreu von den Körnern trennte. Die Körner mit der Kaffeemühle durchgemahlen, mit Salz und ein bisschen Fett in heißes Wasser gerührt und fertig war das Süppchen. Uns half dann später unser Schrebergarten, der vom Großvater und Mutter bestellt wurde. Auf Vorschlag des Vorstandes mussten von jedem Gartenpächter Nachtwachen gestellt werden, um Diebe abzuwehren. Meine Schwester und ich, bewaffnet mit großen Knüppeln, machten Nachtwache. Lächerlich, die armen Räuber hätten sich totgelacht, wenn sie uns gesehen hätten.

Gegen Morgen wurde es dann kalt, und im Magen rohe Mohrrüben oder unreifes Obst. Aber wir mussten anschließend gleich zur Arbeit. Mein größter Wunsch war damals: Ein ganzes Brot für mich allein. War aber nicht zu erfüllen. Großmutter und Mutter kochten nicht, nein, es grenzte an Zauberei.
Manchmal flossen auch Tränen bei Mutter, wenn nichts mehr da war. Jedenfalls gab es bei dieser Verpflegung keine Übergewichtigen, es gab keine Verstopfung und wenig Diabetiker oder Herz- und Kreislaufkranke. Dafür traten andere Krankheiten auf, wie Typhus oder Tbc.

Es wurden Schulen und Gaststätten zu Krankenhäusern „umfunktioniert“. Mein Weg führte jeden Tag an so einer Schule vorbei. Um diese Zeit zu überstehen, mussten wir gesund bleiben, also etwas in den Magen kriegen. Mutter und Schwester suchten Bucheckern im Wald. Die waren federleicht, und man musste sehr, sehr fleißig sein, um dann eine bestimmte Menge in Öl umtauschen zu können.
Großvaters Neffe Hugo hatte ein kleines Fuhrgeschäft, ein Wagen und zwei Pferdchen. Er wurde kurze Zeit Neubauer mit wenigen kleinen Feldern. Die Großeltern halfen bei der Ernte und bekamen dafür jeden Tag, wie gut, ein warmes Mittagsessen, Frühstück und Abendbrot. Wir anderen halfen uns, so gut es ging. Großvater mähte mit der Sense, und Großmutter band Garben. Die Felder waren in der Nähe der russischen Garnison. Plötzlich kam ein russischer Soldat quer über den Acker und sagte: „Babuschka, ich helfen:“ Er zog den Uniformrock aus, nahm Großvater die Sense weg, und in großen Schlägen ging er durch das Kornfeld mit strahlendem Gesicht. Sicher wurde er an seine Heimat erinnert und war glücklich, mal wieder eine Sense in der Hand zu haben. Ach, was tun Menschen Menschen an! Es hatte sich herumgesprochen, und ab und zu ließ sich ein Soldat sehen.
Zur Rübenernte im Herbst suchten viele Leute die abgeernteten Felder nochmals ab. Nun gab es viele Rübenfelder in unserer Gegend, aber auch viele Menschen, die sammelten. Im Waschhaus, soweit noch eines vorhanden war, wurde Rübensaft im Waschkessel gekocht. Dazu brauchten die Frauen eine ganze Nacht und mussten ständig rühren, eine klebrige, aber nahrhafte Angelegenheit. Nur derjenige Arbeitsfähige bekam Lebensmittelkarten, der zusätzlich eine bestimmte Anzahl Steine klopfte, das heißt, Mauersteine aus Trümmerbergen mit einem Hammer vom alten Putz befreite. Die aufgeschichteten Steine wurden von einer Aufsichtsperson, natürlich einem Mann, nachgezählt, und die Klopfer, meistens Frauen, bekamen eine Bescheinigung, dass sie ein Recht auf eine Lebensmittelkarte hatten. An die großen Trümmer- und Schuttberge wurden dann Frauen „angesetzt“, die legendären Trümmerfrauen.
Sie hatten einen festen Arbeitsvertrag, klopften Steine, schippten unendlich viel Schutt in Loren und planierten große Flächen. Alles per Hand, es war Schwerstarbeit.

Warum tun sich Menschen Kriege an? Ich finde keine Antwort. Salopp gesagt: Vielleicht ist das menschliche Gehirn dem lieben Gott doch nicht so ganz gelungen. Sicher ist es erst die „Nullserie“.
Es müsste noch ein bisschen daran gefeilt werden, ehe man es in Produktion gibt.

Käthe Blattner

Als ich bei Frau Blattner an der Tür klingelte, kam mir ein kleiner Pudel entgegen. Mit ihm habe ich schnell Freundschaft geschlossen, und so konnte Frau Blattner mir ihre Lebensgeschichte erzählen.

Frau Blattner, wann und wo sind Sie geboren und wie haben Sie Ihre Kindheit verlebt?
Ich bin 1920 in Berlin geboren. Besuchte in Berlin das Lyzeum für Mädchen. Meine Kindheit war sehr behütet. Meine Eltern waren, wie man heute sagen würde, reiche Leute. Damals war es eben der Mittelstand.

Wann sind Sie nach Halberstadt gezogen?
1936 zogen meine Eltern nach Halberstadt. Mein Vater übernahm hier einen Betrieb. In Halberstadt habe ich dann bis 1937 die höhere Handelsschule besucht.

Holzmarkt Halberstadt

Wie war es bei Ihnen mit dem Pflichtjahr?
Aber selbstverständlich musste ich das Pflichtjahr machen. Ich habe ein ½ Jahr auf einem Gut und ½ Jahr bei einer Familie in Potsdam gearbeitet.

Und wie ging es dann weiter?
Von 1940 bis 1942 besuchte ich die Kunstgewerbeschule in Magdeburg. Die wurde aber dann geschlossen, und ich wurde bei „Krupp und Grusum“ in Magdeburg verpflichtet. Dort bin ich mit dem damaligen Klassenhass das erste Mal konfrontiert worden. Ich bin immer mit Tschechen aus dem Betrieb gegangen. Eines Tages mußte ich zum damaligen Abteilungsleiter. Dieser Umgang ist nicht gut für mich und mir wurde der Umgang verboten.

Waren Sie nur in Magdeburg dienstverpflichtet?
Nein, ich musste dann zu „Junkers“ nach Halberstadt. Dort habe ich als Technische Zeichnerin gearbeitet. Bei Junkers war meine unmittelbare Nachbarin Halbjüdin. Wie haben uns sehr gut verstanden. Eines Tages wurde sie abgeholt und ich musste zum Personalchef. Dort wurde ich gemaßregelt. Ich müsste froh sein, dass mein Vater so ein angesehener Mann in Halberstadt ist, sonst würde ich jetzt dort sein, wo das Pack hingehört. Viel später erfuhr ich, dass diese Frau in die Munitionsfabrik Mönchhai gebracht wurde.

Sind Sie damit einverstanden, und wären Sie bereit mir Ihre Eindrücke und Erlebnisse am Tag der Zerstörung, am 8. April 1945, zu erzählen?
Aber selbstverständlich. Gerade darüber muss gesprochen werden. Ich selbst war an diesem Tag im Felsenkeller. Das war eine Höhle der Junkerswerke. Die Stadt brannte tagelang. Menschen liefen weinend in der Stadt herum, überall lagen verkholte Leichen. Meine Eltern habe ich nach 3 Tagen gefunden. Unser Haus im Weingarten war zerbombt und unser Lager brannte. Mein Vater hat Menschen durch unser Grundstück gebracht, weil alles ringsherum brannte.

Waren Sie und wo waren Sie Trümmerfrau?
Trümmerfrau war ich am Holzmarkt. Ich habe nur Steine geklopft um Lebensmittelmarken zu erhalten, denn 1946 habe ich geheiratet und habe bei meinem Mann als Grafikerin gearbeitet.

Waren Sie gesellschaftlich tätig?
Der Mensch war und ist immer wichtig für mich. Ich war jahrelang im Elternaktiv und dann habe ich bei der Jugendhilfe gearbeitet. Nicht zu vergessen die Zeit als Schöffe. 1954 bin ich Mitglied im DFD geworden.

Da Sie aus dem Mittelstand kamen, haben Sie Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen gehabt?
Ach woher. Ich bin immer akzeptiert worden.

Und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Keine Gewalt, keinen Krieg, keinen Klassenhass und vor allem Gesundheit.

Ursula Sperling

Ursula Sperling war 16 Jahre alt, als anglo-amerikanische Bomber am 8. April 1945 Halberstadt in Schutt und Asche legten. Heute nach 50 Jahren der Schreckensnacht sind die Erinnerungen noch nicht verblasst.

„Im Januar 1945 mussten wir aus Liegnietz flüchten. Mein Vater, der auf dem Flugplatz gearbeitet hatte, durfte nicht mit. Eines Morgens haben sich alle Angehörigen des Flugplatzpersonals dort treffen müssen. Es stand ein Waggon für uns auf dem Zubringergleis bereit. Die Polster waren rausgerissen und die Fensterscheiben waren entzwei. Trotzdem hatten wie noch Glück, denn wir hatten ein Dach über dem Kopf. Es war schrecklich, Kinder haben im Gepäcknetz gelegen. Ich selbst saß am Fenster. Vor Kälte habe ich mich kaum bewegt. Das Wasser und die Toiletten waren vereist. Oftmals hielt der Zug stunden- und tagelang. In dieser Zeit hat man sich gewaschen und etwas bewegt, aber nicht weit weg vom Zug. Ich habe Flüchtlinge gesehen mit Handwagen, Pferdewagen, Kinderwagen auf den Straßen. Kranke und alte Menschen wurden einfach an den Straßenrand gesetzt. Diese Erinnerungen sind bleibend. Glücklich in Apolda angekommen mussten wir noch eine Nacht auf Fahrkartensäcke übernachten, bevor wir unser Zielort Halberstadt am 1. Februar 1945 erreichten.“

Zerstörtes Halberstadt

Am 7. und 8. April 1945 war Frau Sperling in Gröningen.

„Am Freitag sollte ich nach Gröningen fahren. Durch die Bombardierung des Bahnhofes fuhr der Zug nur bis zur Schranke und dann zurück nach Magdeburg. Am Samstag meinte mein Onkel ,hört, jetzt wird Halberstadt in Schutt und Asche gelegt‘. Dann mussten sich alle Männer aus Gröningen versammeln und fuhren nach Halberstadt um Hilfe zu leisten. Ich selbst musste nach Halberstadt laufen. Aber man ließ mich in Wehrstedt nicht rein. Durch Schleichwege erreichte ich doch unser Haus. Das Nachbarhaus brannte lichterloh. Meine Mutter nahm das Nötigste aus unserer Wohnung, weil wir Angst hatten, das Feuer greift über. Am Nachmittag sind wir zum Kulk, dort bin ich so richtig mit dem Grauen des Krieges in Berührung gekommen. Da lagen kleine Kinderbeine, Kopfhaut und Haarteile.“

Im Juni 1945 meldete sie sich beim Stadtbauamt, um aufzuräumen.

„Eingesetzt wurde ich am Breiten Weg. Wir Jugendlichen mußten immer die großen Steine nehmen. Das ging ganz schön ins Kreuz. Es gab wenig zu essen, wenn Loren umgekippt sind, mußten diese von der Schuhstraße wieder hochgeschoben werden. Gegenstände, die wir fanden, mussten auf einen Berg gelegt werden. Was daraus geworden ist, weiß ich leider nicht mehr. Bis Mai 1946 lief das Enttrümmern nur über Anwesenheitsliste. Ab Mai erhielt ich dann eine feste Anstellung bei der Tiefbaufirma Peter Bauwens. Der Standort war der Paulsplan. Unser Meister war Alfred Zöllner. Gearbeitet habe ich an der Hamoniekaserne und beim Abriss des Casinos der Minenwerferkaserne war ich dabei, auf dem Breiten Weg, überall sind wir eingesetzt worden. Alle brauchbaren Teile mussten doch genutzt werden. In den Wintermonaten habe ich im Magazin Wäsche sortiert. An der Martinikirche hat Herr Schröder mit der Erdbeernase (so hatte man ihn genannt) Brühe für 10 Pfennige verkauft.“

Frau Sperling ist heute noch der Meinung, dass trotz dem Elend und der Not, die in den ersten Nachkriegsjahren herrschte, der kameradschaftliche Zusammenhalt viel ausgeprägter war.

Margarete Aftermann

Frau Margarete Aftermann war so freundlich uns Fotos aus dieser Zeit zur Verfügung zu stellen.

Trümmerfrauen - Margarete Aftermann
Trümmerfrauen - Margarete Aftermann
Frau Erbert

Nach unserer Anzeige in der Tageszeitung “Trümmerfrauen gesucht” meldete sich auch Frau Erbert. Es wurde Zeit, dass sich jemand mit unserer Geschichte beschäftigt, denn wir Frauen waren es doch, die Halberstadt aufbauten”, so ihre ersten Worte.

Frau Erbert, wie verlief ihre Kindheit?
Ich hatte keine schöne Kindheit. Meine Mutter verstarb sehr früh und mein Vater heiratete noch einmal. Meine Stiefmutter war nicht sehr lieb zu mir. Wenn ich aus der Schule kam, zählte ich die Knöpfe, ´hat sie gute Laune, hat sie schlechte Laune´, lieber gute Laune und nicht aufgeräumt. Ja, und eines Tages hat sie meine 2 Puppen versetzt mit der Reaktion ´du willst ja was zum Essen haben`.Gern erinnere ich mich nicht an meine Kindheit. Geschworen habe ich mir damals, das machst du nie mit deinen Kindern, und ich habe es eingehalten.

Würden Sie mir auch Ihre Erlebnisse zum Tag der Zerstörung am 8. April 1945 erzählen?
Ich musste für meinen Vater aus der Ritterstaße Zigaretten holen. Wurde dann mit Bordwaffen beschossen. Nach Hause lief ich durch die Plantage und sah, wie sich 2 Soldaten immer auf die Erde schmissen. Ich machte es auch und sollte wohl mit in die Laufgräben, aber ich lief nach Hause. Dort angekommen, konnte ich nicht mehr sprechen. Es war ein Schock.

Wie alt waren Sie damals?
Kaum 16 Jahre.

Wo waren Sie Trümmerfrau?
Ich war eine der ersten mit, die am Kulk begannen den Schutt zu beseitigen. Jahrelang war ich bei der Enttrümmerung Halberstadts tätig und weiß wohl von dem großen Leid, das der zweite Weltkrieg über die Menschheit gebracht hat. Es war nicht leicht, auf diesen Trümmern materieller und geistiger Art ein neues Leben aufzubauen, und gerade wir jungen Menschen mussten lernen umzudenken, hatten wenig Freude, viel Hunger und viel Arbeit.

Es gab dann doch eine Zeit, wo Sie keine Trümmerfrau waren, was haben Sie da getan?
Ich habe 1953 auf dem Bau in Königshütte an der Talsperre gearbeitet. Dort lernte ich meinen Mann kennen. Mit ihm habe ich 5 Kinder. Meine Eltern waren gegen meinen Mann, weil er ein Flüchtling war und in ihren Augen ein Hergelaufener. “Mit deinen 5 Kindern landest du bald in der Gosse”, so meine Eltern.

Und sind Sie in der Gosse gelandet?
Auf keinen Fall. Wir haben es meinen Eltern bewiesen, dass es auch ohne ihre Bemerkungen ging. Ich habe mich immer durchgesetzt. Mein Mann war auf Montage, was blieb mir übrig.

Waren Sie auch gesellschaftlich tätig?
Ab 1969 war ich freiwilliger Jugendhelfer. Die Arbeit mit den Jugendlichen war für mich eine große Hilfe, die Probleme der Jugendlichen von heute besser zu verstehen. Ich gehe ganz anders an die Problematik heran, vielleicht wie Sie.

Erika Erbert bezog durch ihren Erfahrungen und Erlebnisse aus und nach dem zweiten Weltkrieg folgende Position, als der Krieg im Irak kurz bevorstand:

Erinnerung an den 8. April 1945
Ich selbst habe den furchtbaren Luftangriff miterlebt und gesehen, wie durch den Bombenangriff am 8. April unsere Stadt in Schutt und Asche sank. Damit nie wieder Krieg das Leben unserer Kinder und Enkelkinder bedroht, bin ich gegen den Krieg im Irak, der, wenn es dazu kommt, für viele Länder noch schlimme Folgen haben kann.
Erika Erbert

Frau Bode

„Meine Tochter schickt mich zu Ihnen, eigentlich wollte ich mich nicht melden, weil unsere Arbeit nie gewürdigt wurde“, mit diesen Worten kam Frau Bode in unser Büro und stellte sich meinen Fragen.

Frau Bode, sind Sie eine echte Halberstädterin?
Ja, ich bin 1931 als Kind einer Arbeiterfamilie in der Harzstraße geboren.

Können Sie sich an Ihre Kindheit erinnern?
Meine Kindheit war trotz der schweren Zeit gut. Meine Eltern sind zwar 1941 geschieden worden und ich musste dann in späterer Zeit meine Mutter und meine zwei Brüder ernähren. 1946 bin ich aus der Schule gekommen, nachdem 1945 die große Schulunterbrechung war. Einen Beruf habe ich nicht erlernen können. Ich wollte Schneiderin werden, aber wo; es war ja alles kaputt. Bin dann gleich in die Trümmer gegangen. Wissen Sie warum meine Kindheit so gut war?. Wir Kinder haben damals alle zusammengehalten. Hatte ein Kind etwas, so hatten alle anderen auch was.

Würden Sie mir Ihre Eindrücke vom 8. April schildern?
Am 8. April lagen wir in einem Graben Nähe Harzstraße. Ich konnte sehen, wie die Bomben ausgeklinkt wurden und wie Halberstadt in Schutt und Asche fiel. Es brannte alles, unser Haus stand zum Glück. Meine Mutter ist nach dem Angriff in die Stadt gegangen. Uns Kinder hat sie nicht mitgenommen, weil wir die Toten nicht sehen sollten. Danach sind wir dann mit dem Handwagen und nur mit dem Nötigsten ins mütterliche Elternhaus gezogen. Wir hatten Angst vor weiteren Angriffen. Ende Mai, als die Amis in Halberstadt einzogen, sind wir wieder in unsere 2-Zimmerwohnung in die Harzstraße gegangen.

Wo haben Sie als Trümmerfrau angefangen?
Angefangen habe ich am Kulk. Ich habe meinen Bruder immer mitgenommen. Je mehr haben wir geschafft.

Gab es noch Stationen, wo Sie in den Trümmern gearbeitet haben?
Na klar war ich noch auf anderen Baustellen. Ich habe an der Mansfeld Kaserne die Pferdeställe abgerissen, die Trümmer am Fliegerhorst habe ich auch mit weggeräumt. Na und dann war ich auf der Strecke. Ich musste mit Ilse Tike die umgekippten Loren einschippen, die zum Helgolandfelsen fuhren. Wissen Sie, wir haben Straßenzug um Straßenzug aufgeräumt.

Gibt es etwas, woran Sie sich gern oder ungern erinnern?
Es gab da schon einige Sachen, wo man heute drüber lächeln kann. Zum Beispiel habe ich mit meiner Mutter ein paar Schuhe getragen. Ich habe sie am Tage zum Trümmern angehabt und sie am Nachmittag zum Einkaufen und am Abend. Einmal haben wir auch von der Verwaltung ein Paar Holzschuhe bekommen, die waren sehr schnell durchgelaufen. Dann war ich Essenholerin. Ich musste von Fleischwaren Heine mit einer Karre Essen holen. Irgendwann habe ich einmal Linsensuppe geholt. Die sah so gut aus, dass ich, wie ich auf die Baustelle kam, nur sagte: „Schnell, schnell teilt die Suppe aus, ich glaube, wir haben das falsche Essen bekommen.“ So war es auch. Es dauerte nicht lange, da kamen die Mitarbeiter von Heine und wollten das Essen wieder abholen. Die Essenkübel wurden verwechselt, meinten sie damals, zu unserer Freude. Ja und dann war ich bei der Grundsteinlegung beim Haus des Friedens dabei. Ich weiß heute noch, wo sich der Stein befindet. Sie müssen wissen, die Thomas-Müntzer-Straße ist die erste Straße, die aus Trümmersteinen gebaut wurde.

Gab es noch andere Sachen, die Sie nicht gut fanden?
Als Trümmerfrau habe ich mich um eine Wohnung beworben. Fast alle Trümmerfrauen haben eine bekommen, nur ich nicht. Ich war vielleicht zu ruhig und habe „nur“ meine Arbeit gemacht. Die Anderen, die gut erzählen konnten, haben eine Wohnung erhalten. Als Verzweiflungstat habe ich eine Eingabe an unseren Präsidenten Wilhelm Pieck gemacht. Das Resultat war, ich habe eine Wohnung in der Harmoniestraße erhalten. Die Toiletten waren auf dem Hof. In dieser Wohnung habe ich übrigens von 1957 bis 1985 noch gewohnt. Ich habe meine Mutter bis 1988 gepflegt. Als sie starb, pflegte ich meinen Mann bis 1990. Nach seinem Tod musste ich mit 127 DM Rente auskommen. Aber da hat mich der Betrieb meines Mannes toll unterstützt. Ich erhalte heute die Rente meines Mannes. Was mich an der Sache am meisten stört ist: Als ich meine Rente beantragte, fragte ich nach den 4 Jahren Trümmerzeit. Diese wurden nicht berücksichtigt. Warum eigentlich? War unsere Arbeit damals nichts wert?

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