Trümmerfrauen
![]() |
![]() |
![]() |
||||
Anne Kern
Aller Anfang ist schwer! Leben in Trümmern Ich glaube, viele Menschen haben die Erinnerung an den schweren Anfang, die Wochen und Monate nach dem Kriegsende verdrängt.
Auch mich kostete es große Mühe, alles wieder ins Gedächtnis zu rufen. Teilweise war es sehr schmerzhaft, aber das Positive, Optimistische drängt nach vielen Jahren doch in den Vordergrund. Kluge Leute haben in Wort und Bild in Archiven festgehalten, wie die geschundenen Städte langsam wieder auf die Beine kamen. Ich möchte wiedergeben, wie ich es in meiner Heimatstadt erlebt und empfunden hatte.
Die ehemaligen Straßen sahen nun aus wie Schneisen, die man durch die Stadt geschlagen hatte. Rechts und links große Trümmerberge, unter denen sicher noch Tote lagen. Nur unsere alte ehrwürdige Fachwerk-Unterstadt blieb zum Teil erhalten. Aber ein großer Verlust waren doch die wertvollen mittelalterlichen Gebäude, die ein Raub der Flammen wurden, zum Beispiel die beiden Märkte und das Rathaus. Jeder versuchte ein einigermaßen dichtes Dach über den Kopf zu bekommen mit Blick auf den Herbst und Winter. Dies blieb meistens den Frauen überlassen, denn die Männer waren noch in der Kriegsgefangenschaft, manchmal noch über Jahre hinaus. Nicht daran zu denken, wie viele gefallen waren! Wer Glück hatte, besaß wenigstens noch einige heile Fensterscheiben, sonst wurde mit Pappe und Brettern zugenagelt. Bis das Gasnetz wieder in Ordnung war, musste auf den eisernen Öfen gekocht werden, nachher im Winter auch die einzige Wärmequelle. Es war ein komischer Anblick, wenn in Häuserwände Löcher geschlagen waren, und heraus ragte ein mächtig qualmendes Ofenrohr, da die Schornsteine ja meistens kaputt waren. Aber wir hatten einen tollen Großvater, Zimmermann und Tischler. Ende des 19. Jahrhunderts als wandernder Zimmermann in Europa auf der Walz gewesen. Er konnte noch ordentlich zupacken und das Werkzeug war auch gerettet. Er spielte schon in meiner Kindheit eine wichtige Rolle. Ich besitze noch heute sein ehemaliges Frühstücksbrett aus Porzellan mit Zwiebelmuster. Damals sah sein Frühstück so aus: Keine Hektik, Ruhe und Zeit, einige Scheiben trockenes Brot, ein großes Stück Speck und Mostrich, dazu ein ordentlicher Pott Malzkaffee, vielleicht auch mal eine Pulle Bier. Sein Wahlspruch: "Wer auf Gott vertraut und Tabak kaut, hat immer dicke Backen!" Ende des Krieges war kaum an Speck zu denken, und nun war es gänzlich ganz vorbei. Wie sollte man mit 7 Gramm Fett und 15 Gramm Wurst, verteilt über den ganzen Tag, ein opulentes Zimmerfrühstück bestreiten? Damals kam die Geschichte mit den Vitaminen auf, worauf heute noch rumgedroschen wird. Großvater hatte nie davon gehört und sagte: "Alle sprechen von Fettaminen, dabei gibt es gar kein Fett." Ach, tut mir das heute noch so leid. Zunächst stand bei allen Menschen das Wort "Essen" im Vordergrund. Wir bekamen wohl Lebensmittelkarten, aber zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Die Karten wurden eingeteilt nach der Arbeit, die man verrichtete. Schwerstarbeiter bekamen logischerweise das Meiste. Wütend werde ich, wenn ich mir die tägliche Lebensmittelration für Mütter ins Gedächtnis rufe: 250 Gramm Brot, 15 Gramm Nährmittel, 15 Gramm Zucker und wie schon gesagt, 7 Gramm Fett und 15 Gramm Fleisch. Wenn sie nun mehrere kleine Kinder hatten und darum nicht arbeiten gehen konnten, in einem Zimmer hausten, Wäsche wuschen mit Ersatzseife und die wenigen Klamotten immer ausflickten, nur hungrige Mäuler vor Augen dann Hut ab. Sie mussten mit der Kinderschar auf abgeernteten Feldern Ähren suchen oder Kartoffeln stoppeln, und versuchen, Brennmaterial zu sammeln. Das gebräuchlichste Transportmittel war sowieso der Kinderwagen. In einer Garage auf unserem Hof hatte eine Gemüsehändlerin ihr Geschäft "etabliert". Morgens um 5 Uhr war unsere Nacht zu Ende. Dann standen die ersten Frauen nach Gemüse an, schnell füllte sich der Hof, und die Gemüseschlange stand auf der Straße in Dreierreihe zehn Meter lang. Unsere Fenster gingen zum Hof raus, und das Murmeln und Erzählen der vielen Frauen, wie ein umgekippter Entenstall, ließ niemanden mehr schlafen. Auch Gemüse gab es auf Zuteilung. Bekam man nichts mehr ab, mussten die Frauen sich den nächsten Tag wieder anstellen. Die Gemüsefrau wurde augenkrank, trug ganz starke brillengläser, und doch sah sie nichts. Der Augenarzt sagte: "Ich kann nicht mehr helfen, ihnen fehlt Fett und richtige Ernährung!" Da fing sie sich Sperlinge, rupfte sie, nahm sie aus und kochte sich kräftige "Hühnerbrühen". Auf einer Ausfallstraße unserer Stadt stürzte ein Pferd und musste getötet werden. Es lag nicht lange da. Mit Schüsseln und Messer bewaffnet kam eine ganze Meute an. Arme Kreatur. Über Menschen urteilen will ich hier nicht, ich würde meine gute Kinderstube vergessen. Nur berichten, was sie sich angetan haben und wie sie versuchten, aus dem Dilemma rauszukommen. Auch weiß ich, dass Hunger weh tut. Ich ging mit einer Bekannten Ähren suchen, in glühender Mittagshitze. Dann waren nicht so viele Sucher unterwegs. In sechs Kilometer Entfernung ein Feld. Der Bauer ging mit der Sustarbe nochmals über den abgeernteten Acker, und wir durften nach stoppeln. Die Ausbeute wurde zu Hause in einen Leinensack getan und mit einem Knüppel draufgeschlagen, das heißt, ausgedroschen. Meine Schwester nahm das Gemisch in beide Hände und ließ es langsam nach unten rieseln. Die andere Schwester und ich pusteten wie die Wilden, damit sich die Spreu von den Körnern trennte. Die Körner mit der Kaffeemühle durchgemahlen, mit Salz und ein bisschen Fett in heißes Wasser gerührt und fertig war das Süppchen. Uns half dann später unser Schrebergarten, der vom Großvater und Mutter bestellt wurde. Auf Vorschlag des Vorstandes mussten von jedem Gartenpächter Nachtwachen gestellt werden, um Diebe abzuwehren. Meine Schwester und ich, bewaffnet mit großen Knüppeln, machten Nachtwache. Lächerlich, die armen Räuber hätten sich totgelacht, wenn sie uns gesehen hätten. Gegen Morgen wurde es dann kalt, und im Magen rohe Mohrrüben oder unreifes Obst. Aber wir mussten anschließend gleich zur Arbeit. Mein größter Wunsch war damals: Ein ganzes Brot für mich allein. War aber nicht zu erfüllen. Großmutter und Mutter kochten nicht, nein, es grenzte an Zauberei. Manchmal flossen auch Tränen bei Mutter, wenn nichts mehr da war. Jedenfalls gab es bei dieser Verpflegung keine Übergewichtigen, es gab keine Verstopfung und wenig Diabetiker oder Herz- und Kreislaufkranke. Dafür traten andere Krankheiten auf, wie Typhus oder Tbc. Es wurden Schulen und Gaststätten zu Krankenhäusern "umfunktioniert". Mein Weg führte jeden Tag an so einer Schule vorbei. Um diese Zeit zu überstehen, mussten wir gesund bleiben, also etwas in den Magen kriegen. Mutter und Schwester suchten Bucheckern im Wald. Die waren federleicht, und man musste sehr, sehr fleißig sein, um dann eine bestimmte Menge in Öl umtauschen zu können. Großvaters Neffe Hugo hatte ein kleines Fuhrgeschäfft, ein Wagen und zwei Pferdchen. Er wurde kurze Zeit Neubauer mit wenigen kleinen Feldern. Die Großeltern halfen bei der Ernte und bekamen dafür jeden Tag, wie gut, ein warmes Mittagsessen, Frühstück und Abendbrot. Wir anderen halfen uns, so gut es ging. Großvater mähte mit der Sense, und Großmutter band Garben. Die Felder waren in der Nähe der russischen Garnison. Plötzlich kam ein russischer Soldat quer über den Acker und sagte: "Babuschka, ich helfen:" Er zog den Uniformrock aus, nahm Großvater die Sense weg, und in großen Schlägen ging er durch das Kornfeld mit strahlendem Gesicht. Sicher wurde er an seine Heimat erinnert und war glücklich, mal wieder eine Sense in der Hand zu haben. Ach, was tun Menschen Menschen an! Es hatte sich herumgesprochen, und ab und zu ließ sich ein Soldat sehen. Zur Rübenernte im Herbst suchten viele Leute die abgeernteten Felder nochmals ab. Nun gab es viele Rübenfelder in unserer Gegend, aber auch viele Menschen, die sammelten. Im Waschhaus, soweit noch eines vorhanden war, wurde Rübensaft im Waschkessel gekocht. Dazu brauchten die Frauen eine ganze Nacht und mussten ständig rühren, eine klebrige, aber nahrhafte Angelegenheit. Nur derjenige Arbeitsfähige bekam Lebensmittelkarten, der zusätzlich eine bestimmte Anzahl Steine klopfte, das heißt, Mauersteine aus Trümmerbergen mit einem Hammer vom alten Putz befreite. Die aufgeschichteten Steine wurden von einer Aufsichtsperson, natürlich einem Mann, nachgezählt, und die Klopfer, meistens Frauen, bekamen eine Bescheinigung, dass sie ein Recht auf eine Lebensmittelkarte hatten. An die großen Trümmer- und Schuttberge wurden dann Frauen "angesetzt", die legendären Trümmerfrauen. Sie hatten einen festen Arbeitsvertrag, klpoften Steine, schippten unendlich viel Schutt in Loren und planierten große Flächen. Alles per Hand, es war Schwerstarbeit. Warum tun sich Menschen Kriege an? Ich finde keine Antwort. Salopp gesagt: Vielleicht ist das menschliche Gehirn dem lieben Gott doch nicht so ganz gelungen. Sicher ist es erst die "Nullserie". Es müsste noch ein bisschen daran gefeilt werden, ehe man es in Produktion gibt. |
||||||
![]() |
![]() |
![]() |