Trümmerfrauen
Frau Bode

„Meine Tochter schickt mich zu Ihnen, eigentlich wollte ich mich nicht melden, weil unsere Arbeit nie gewürdigt wurde“, mit diesen Worten kam Frau Bode in unser Büro und stellte sich meinen Fragen.


Frau Bode, sind Sie eine echte Halberstädterin?

Ja, ich bin 1931 als Kind einer Arbeiterfamilie in der Harzstraße geboren.

Können Sie sich an Ihre Kindheit erinnern?

Meine Kindheit war trotz der schweren Zeit gut. Meine Eltern sind zwar 1941 geschieden worden und ich musste dann in späterer Zeit meine Mutter und meine zwei Brüder ernähren. 1946 bin ich aus der Schule gekommen, nachdem 1945 die große Schulunterbrechung war. Einen Beruf habe ich nicht erlernen können. Ich wollte Schneiderin werden, aber wo; es war ja alles kaputt. Bin dann gleich in die Trümmer gegangen. Wissen Sie warum meine Kindheit so gut war?. Wir Kinder haben damals alle zusammengehalten. Hatte ein Kind etwas, so hatten alle anderen auch was.

Würden Sie mir Ihre Eindrücke vom 8. April schildern?

Am 8. April lagen wir in einem Graben Nähe Harzstraße. Ich konnte sehen, wie die Bomben ausgeklinkt wurden und wie Halberstadt in Schutt und Asche fiel. Es brannte alles, unser Haus stand zum Glück. Meine Mutter ist nach dem Angriff in die Stadt gegangen. Uns Kinder hat sie nicht mitgenommen, weil wir die Toten nicht sehen sollten. Danach sind wir dann mit dem Handwagen und nur mit dem Nötigsten ins mütterliche Elternhaus gezogen. Wir hatten Angst vor weiteren Angriffen. Ende Mai, als die Amis in Halberstadt einzogen, sind wir wieder in unsere 2-Zimmerwohnung in die Harzstraße gegangen.

Wo haben Sie als Trümmerfrau angefangen?

Angefangen habe ich am Kulk. Ich habe meinen Bruder immer mitgenommen. Je mehr haben wir geschafft.

Gab es noch Stationen, wo Sie in den Trümmern gearbeitet haben?

Na klar war ich noch auf anderen Baustellen. Ich habe an der Mansfeld Kaserne die Pferdeställe abgerissen, die Trümmer am Fliegerhorst habe ich auch mit weggeräumt. Na und dann war ich auf der Strecke. Ich musste mit Ilse Tike die umgekippten Loren einschippen, die zum Helgolandfelsen fuhren. Wissen Sie, wir haben Straßenzug um Straßenzug aufgeräumt.

Gibt es etwas, woran Sie sich gern oder ungern erinnern?

Es gab da schon einige Sachen, wo man heute drüber lächeln kann. Zum Beispiel habe ich mit meiner Mutter ein paar Schuhe getragen. Ich habe sie am Tage zum Trümmern angehabt und sie am Nachmittag zum Einkaufen und am Abend. Einmal haben wir auch von der Verwaltung ein Paar Holzschuhe bekommen, die waren sehr schnell durchgelaufen. Dann war ich Essenholerin. Ich musste von Fleischwaren Heine mit einer Karre Essen holen. Irgendwann habe ich einmal Linsensuppe geholt. Die sah so gut aus, dass ich, wie ich auf die Baustelle kam, nur sagte: „Schnell, schnell teilt die Suppe aus, ich glaube, wir haben das falsche Essen bekommen.“ So war es auch. Es dauerte nicht lange, da kamen die Mitarbeiter von Heine und wollten das Essen wieder abholen. Die Essenkübel wurden verwechselt, meinten sie damals, zu unserer Freude. Ja und dann war ich bei der Grundsteinlegung beim Haus des Friedens dabei. Ich weiß heute noch, wo sich der Stein befindet. Sie müssen wissen, die Thomas-Müntzer-Straße ist die erste Straße, die aus Trümmersteinen gebaut wurde.

Gab es noch andere Sachen, die Sie nicht gut fanden?

Als Trümmerfrau habe ich mich um eine Wohnung beworben. Fast alle Trümmerfrauen haben eine bekommen, nur ich nicht. Ich war vielleicht zu ruhig und habe „nur“ meine Arbeit gemacht. Die Anderen, die gut erzählen konnten, haben eine Wohnung erhalten. Als Verzweiflungstat habe ich eine Eingabe an unseren Präsidenten Wilhelm Pieck gemacht. Das Resultat war, ich habe eine Wohnung in der Harmoniestraße erhalten. Die Toiletten waren auf dem Hof. In dieser Wohnung habe ich übrigens von 1957 bis 1985 noch gewohnt. Ich habe meine Mutter bis 1988 gepflegt. Als sie starb, pflegte ich meinen Mann bis 1990. Nach seinem Tod musste ich mit 127 DM Rente auskommen. Aber da hat mich der Betrieb meines Mannes toll unterstützt. Ich erhalte heute die Rente meines Mannes. Was mich an der Sache am meisten stört ist: Als ich meine Rente beantragte, fragte ich nach den 4 Jahren Trümmerzeit. Diese wurden nicht berücksichtigt. Warum eigentlich? War unsere Arbeit damals nichts wert?